Fachpresse

 

WIE DIE AGRARINDUSTRIELLE FACHPRESSE WIRTSCHAFTLICH BE-/GENUTZTE TIERE KONZEPTUALISIERT


In dieser Rubrik werden journalistische Artikel aus dem webbasierten agrarindustriellen Nachrichtenportal 'agraheute' analysiert, da sich diverse Verschleierungstaktiken und sprachliche Distanzierungsmechanismen gerade in der öffentlichen Berichterstattung der Agrarpresse manifestieren. Aus diesem Grund wird untersucht, wie die agrarindustrielle Fachpresse wirtschaftlich be-/genutzte Tiere sprachlich konzeptualisiert und welche problematischen Umstände hinter der Tiernutzungsindustrie verdrängt werden. Im Vergleich zur detaillierten Sprachanalyse der Presse, möchte diese Rubrik exemplarisch aufarbeiten, welche Verschleierungstaktiken von der Agrarpresse benutzt werden und welche Rolle Sprache dabei einnimmt.

Zum Hintergrund der Agrarpresse

Die wichtigsten Fachmagazine aus der Agrarpresse werden in Verlagen publiziert, in denen die regionalen Bauernverbände als Gesellschafter im Hintergrund großen Einfluss nehmen (vgl. Busse 2006:208 f.). Was sich hinter der Vielfalt an Themen rund um 'Landwirtschaft', 'Technik' und 'Tier' verbirgt, ist jedoch ein einseitiges Bild: Alle Magazine proklamieren ein rein ökonomisches Bild der industrialisierten Tier(be)nutzung mit 'Landwirt:innen' als agrarindustrielle Unternehmer:innen. Eine Auseinandersetzung mit Gegenentwürfen zur tiersensiblen Haltungsformen wird nicht offeriert, daher wird der Zielgruppe - 'Landwirt:innen', deren Familien und Mitarbeiter:innen - der Zugang zu einem pluralistischen Meinungsbild von vornherein vewehrt (ebd., vgl. Deutscher Landwirtschaftsverlag 2021:2). 

ANALYSEN VON ‘AGRARHEUTE’

Zur Kontextualisierung von ‘Agrarheute’

'agrarheute' gilt als eines der reichweitenstärksten Magazine des Deutschen Landwirtschaftsverlags, das sowohl als Printmagazin als auch in Form eines digitalen Nachrichtenportals publiziert wird (vgl. Deutscher Landwirtschaftsverlag). Als digitales Nachrichtenportal möchte 'agrarheute' seine Inhalte und Neuigkeiten möglichst schnell und zeitgetreu zu publizieren, was sich auch in der öffentlichen Berichterstattung über die Tiernutzungsindustrie manifestiert: einer möglichst plakativen Berichterstattung und einer hohen Publikationsdichte.

'agrarheute' wurde als Analysegegenstand ausgewählt, da das Portal einerseits eine für die Agrarpresse symptomatische ökonomisierte Berichterstattung proklamiert, die weitaus plakativer ausfällt als die Berichterstattung der allgemeinen Presse. Darüber hinaus ist es ein aus dem agrarindustriellen Milieu vielfach rezipiertes reichweitenstarkes Nachrichtenportal, das die Konzeptualisierung von tierlichen Individuen als ökonomische Produkte verbreitet und die industrialisierte 'Haltung' von nichtmenschlichen Tieren als absolute Norm ansieht - ohne die Missstände, Gewaltausübungen und Tötungen hinter dieser Industrie zu thematisieren. Das strategische Setzen eines Deutungsrahmen, der die industrielle Benutzung und Ausbeutung von nichtmenschlichen Tieren in ein positives Bild rückt, wird in der Fachsprache als Framing bezeichnet (vgl. Oswald 2019:3). Diese Form des Framings ist eine populäre Strategie der öffentlichen Berichterstattung in agrarindustriellen Kontexten, um der Leserschaft immer wieder gezielt vor Augen zu führen, dass die industrialisierte 'Tiernutzung' der einzig richtige Weg ist (vgl. Busse 2006:208).  

Analyse 1: Newsticker zur ‘Vogelgrippe’

Mit einem genauen Blick auf die zahlreichen Beiträge von 'agrarheute', offenbart sich eine Berichterstattung, die die dramatischen Haltungsbedingungen und Tötungsvorgänge von wirtschaftlich be-/genutzten Tieren durch Zahlen und Fakten neutralisiert. In der oben abgebildeten Sammlung wurde ein Auszug der aktuellen Meldungen zur 'Vogelgrippe' zusammengestellt, der zum Teil wöchentliche Einträge zum Thema beinhaltet. Durch eine ökonomisierte Berichterstattung und der technisierten, mechanischen Darstellung der Tötungsprozesse der wirtschaftlich be-/genutzten Tiere werden die tausendfachen prophylaktischen Tötungen nicht-infizierter Lebewesen neutralisiert bzw. legitimiert und jene Lebewesen als abgewertete, entindivdualisierte Produkte konstruiert. Indem die Sammlung an Artikeln zu fast monatlichen Ausbrüchen der Tierkrankheit in dem Format eines Newstickers angelegt ist, werden die millionenfachen Tötungen der tierlichen Individuen neutralisiert bzw. relativiert, um die wahre Leidensrealität jener Individuen aus dem Bewusstsein der agrarindustriellen Leserschaft zu verdrängen. Die einseitige Darstellung der tierlichen Lebewesen als industrialisierte 'Nutztiere' (wirtschaftlich be-/genutzten Tieren) - ohne überhaupt die Benutzung, Ausbeutung und Tötung jener Tiere zu hinterfragen - zieht sich so durch den gesamten Webauftritt des Portals. 

Die Normalisierung der gefährlichen ‘Vogelgrippe’

Was die agrarindustrielle Fachpresse gerne bewusst in ihrer Berichterstattung ausklammert, ist der dramatische Zusammenhang zwischen der industriellen Geflügel- und Schweine'haltung' und der Evolution verschiedener Grippeviren (vgl. Schmidt 2007:47 ff., Hagendorff 2021:213). Das häufig als 'Vogelgrippe' bezeichnete Virusgrippe, impliziert bereits im Namen eine Beschönigung und Verharmlosung der Tatsachen: Die sogenannte 'Vogelgrippe' ist nämlich eine hochgradig ansteckende Viruserkrankung im Tierreich. Die auch als Influenza-A-Virus H5N1 bekannte 'Vogelgrippe' besitzt eine fallbezogene Fatalitätsrate (Wahrscheinlichkeit der Sterberate bei der Infektion des Menschen) von mehr als fünfzig Prozent. Im Vergleich dazu liegt die Fatalitätsrate von Covid-19 bei unter einem Prozent (vgl. Hagendorff 2021:214). Was den zahlreichen Grippeviren aus tierindustriellen Kontexten bisher fehlt "ist ihr Potential sich auf, sich von Mensch zu Mensch zu übertragen. Sollten sie dieses Potential entwickeln und ihre tödliche Wirkung entfalten, könnte dies verheerende Folgen haben, die bis zum Ende der Zivilisation reichen können" (Hagendorf 2021:214).

Wie kann die breite Masse an öffentlichen Berichterstattungen dieses hochgradig gefährliche Virus als normalisierten Zustand framen, ohne auch nur im Ansatz auf die dramatische Kehrseite des Virus hinzuweisen? 

Analyse 2: Sammlung von Artikeln zur ‘Schweinehaltung’

Auch diese Sammlung an Artikeln zum Thema 'Schweinehaltung' symbolisiert die ganzheitlich ökonomische Konzeptualisierung von nichtmenschlichen Tieren als wirtschaftliche Objekte und (End-)Produkte in der öffentlichen Berichterstattung des Portals. Begrifflichkeiten wie 'Schweinemarkt', 'Schweinepreise', 'Fleischmarkt' und 'Ferkelmarkt' stehen repräsentativ für die ökonomische Stellung jener Lebewesen. Indem die Fachpresse wie 'Agrarheute' das anthropozentrische Bild von tierlichen Individuen als Fleisch- und Eier"lieferanten" immer wieder unreflektiert sprachlich reproduziert, wird jenen Lebewesen ihr individueller Eigenwert und ihre Fähigkeit zu physischem und psychischen Leid und Schmerz abgesprochen (vgl. Möller 2007:16). Wirtschaftlich be-/genutzten Tiere werden also durch die Verwendung einer ökonomisierten Sprache zu einer entindividualisierten, abgewerteten Masse (vgl. Mahlke 2013:41-43). Diese Abwertung und Entindividualisierung, die sich auch durch Sprachpraktiken offenbart, sind zentrale Beispiele für diverse sprachlichen Normalisierungs-, Rationalisierungs- und Distanzierungsstrategien, die zwar natürlich erscheinen allerdings als äußerst tierdiskrimierend eingeordnet werden müssen (mehr zu den Normalisierungs-, Rationalisierungs- und Distanzierungsstrategien). Das Framing jener Tiere als Objekte und Produkte ist dabei eine beliebte Strategie der agrarindustriellen Fachpresse, um den 'Landwirt:innen' immer wieder gezielt vor Augen zu führen, dass nur die industrialisierte Form der 'Tierhaltung' funktionieren kann und richtig ist (vgl. Busse 2006:208).  
 

Beschönigende Bilder suggerieren eine Scheinrealität

Viele der in der Berichterstattung verwendeten Bilder sind sogenannte Stockphotos. Stockphotos sind Fotografien, die von Fotoagenturen vorrätig produziert und anschließend auf zahlreichen digitalen Bilddatenbanken vertrieben werden. Was bei diesen Fotografien jedoch nicht bedacht wird ist, dass diese ohne eine tatsächliche Kontextualisierung angefertigt und zumeist global vertrieben werden. Diese Fotografien werden seitens der Presse, seitens der Interessenverbände und Wirtschaft vielschichtig eingesetzt, um eine beschönigte Scheinrealität der Tiernutzungsindustrie abzubilden. Anstelle der realen Situation – eingepferchten, apathischen Individuen, die kaum Platz haben, um sich überhaupt zu bewegen – wird uns das Bild von glücklich wirkenden Jungtieren präsentiert, die in Kleingruppen zusammenstehen. Insbesondere die stark ökonomisierte, meist abwertende Sprache, stellt dabei einen unwirklichen Kontrast zu den beschönigten, unproblematischen Bildern der tierlichen Individuen dar.   

LITERATUR UND QUELLEN ZUM NACHLESEN

Agrarheute: “Vogelgrippe: Neue Fälle im Überblick.” Verfügbar unter: 
https://www.agrarheute.com/tier/vogelgrippe-neue-faelle-ueberblick-529519, Zugriff am 06.08.2021

Agrarheute: “Ausfälle Ferkel.” Verfügbar unter:
https://www.agrarheute.com/suche?qs=Ausfall+ferkel, Zugriff am 06.08.2021. 

Busse, Tanja: "Bauern ohne Lobby. Wie das Agrobusiness, der Deutsche Bauernverband und Tierschützer um Einfluss auf die Agrarpolitik streiten und warum die Bauern dabei oft zu kurz kommen.“ In: Leif, Thomas; Speth, Rudolph (Hrsg.): Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland. Wiesbaden: 2006, S. 199-220.
Deutscher Landwirtschaftsverlag: Die agrarheute Markenwelt. Mediadaten Print und Online. Verfügbar unter https://www.dlv.de/uploads/tx_sfmediendatenbank/agrarheute_online_Mediadaten_2021.pdf, Zugriff am 18.08.2021.
Hagendorff, Thilo: Was sich am Fleisch entscheidet. Über die politische Bedeutung von Tieren. Marburg: 2021.
Möller, Christina: „Über die Verführbarkeit der Massen zu Schlächtern der Tiere. Eine Analyse zur Wirkmacht der Werbung." In: Tierbefreiung das aktuelle Tierrechtsmagazin 57/2007, S. 4-17.
Oswald, Michael: Strategisches Framing. Eine Einführung. Wiesbaden: 2019.
Schmidt, Götz: "Tierseuchen. Politik mit der Angst." In Agrarbündnis e.V. (Hrsg.): Der kritischer Argrabericht 2007, S.47-52. Verfügbar unter: https://www.kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB-2007/Schmidt.pdf, Zugriff am 18.08.2021.