GLOSSAR

 

SPRACHKRITISCHES WÖRTERBUCH


Die abwertende Konstruktion von sogenannten 'Nutztieren', also wirtschaftlich be-/genutzten Tieren, wird stark durch Sprache und mediale Bilder geprägt. Gerade die Tiernutzungsindustrie – also Fleisch, Tier- und Agrarkonzerne - und deren vielseitig agierenden Interessenvertretungen - versuchen durch sprachliche Abwertungen, Verdinglichungen und Beschönigungen, die Ausbeutung und Tötung von wirtschaftlich be-/genutzten Tiere durch sprachliche Normalisierungs-, Rationalisierungs- und Distanzierungsstrategien zu verharmlosen und zu verzerren (vgl. Joy 2014:133 ff., Hagendorff 2021:98 ff.). Besonders problematisch dabei ist jedoch, dass die Fachbegriffe aus der Tiernutzungsindustrie meist sukzessive in den öffentlichen Sprachgebrauch gelangen und damit unhinterfragt von der breiten Bevölkerung benutzt werden. Da diese Begriffe aus agrarpolitischen Kontexten stammen oder als Marketinginstrumente initiiert werden, haben insbesondere die verantwortlichen Personen aus dem Agrarsektor eine Deutungshoheit über diese Begrifflichkeiten (vgl. von Gall 2020:112). Diesen Kontext müssen wir uns daher immer wieder bewusst machen, sobald wir über die (sprachliche) Konzeptualisierung von wirtschaftlich be-/genutzten Tieren sprechen. 

Doch welche Begriffe sind besonders problematisch und welche alternativen Möglichkeiten gibt es? Mit diesem Glossar liefern wir eine sprachliche Kontextualisierung zumeist unscheinbarer problematischer Begrifflichkeiten, die aufzeigt wie wir über nichtmenschliche Tiere sprechen und was wir daran ändern können:
 
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Die Bezeichnung nichtmenschliches Tier bzw. Individuum oder Lebewesen verdeutlicht, dass die Grenze zwischen Menschen und Tieren nicht so eindeutig ist, wie lange postuliert. Das kompromisslose Mensch-Tier-Abgrenzen führt zur Konstruktion des tierlichen Lebens als Anderes. Dies ist ein Prozess, in dem das Eigene durch die Abwertung des Anderen aufgewertet und normalisiert wird.

Ähnlich zu den Begriffspaaren
weiblich-weibisch und kindlich-kindisch ist ‘tierisch’ negativ konnotiert.

Alternative Begrifflichkeiten:
Nichtmenschliches Tier/Individuum/Lebewesen
tierliches Individuum/Lebewesen
tierlich
 

(vgl. Mütherich 2009:81 ff.; Kompatscher-Gufler/Schachinger/Spannring 2017:54) 

 
 
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Bei der Bezeichnung ‘Nutztier’ handelt es sich um einen eindeutigen sprachlichen Vorgang der Abwertung – denn der menschliche Nutzen wird durch Sprache als zentrale Wesenseigenschaft den nichtmenschlichen Tieren zugeordnet, während ihr individueller Eigenwert ausgeblendet wird.

Alternative Begrifflichkeiten:
wirtschaftlich be-/genutztes Tier
(für Nahrungszwecke) be-/genutztes nichtmenschliches Tier
(für die Pelzherstellung) be-/genutztes nichtmenschliches Tier

(vgl. von Gall 2020:78 ff.)

 
 

Mit dem Begriff ‘Tierschutz’ werden im Allgemeinen Maßnahmen bezeichnet, die nichtmenschliche Tiere vor Leid und Schmerzen bewahren und deren Wohlergehen stärken sollen. Problematisch bei der Benutzung des Begriffes Tierwohl – beispielsweise auch bei der Implementierung von sogenannten ‘Tierschutzmaßnahmen’ – ist, dass dieser Begriff suggeriert, dass es diesen Tieren tatsächlich gut geht. Unter dem Deckmantel des ‘Tierschutzes’ werden also viele Tierschutzmaßnahmen eingeführt, die zumeist nur ökonomische Vorteile für den Menschen bieten – und sich nicht dem Schutz und Wohlbefinden von nichtmenschlichen Tieren widmen .

Alternative Begrifflichkeiten:
Veterinärmedizinische Grundversorgung
Tiernutzungssiegel anstelle von ‘Tierschutzsiegel‘

(vgl. von Gall 2020: 53-55)

 
 
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‘Tierhalter:in’ und ‘Landwirt:in’ sind beschönigende und fehlleitende Bezeichnungen, da die Interessen aus der Landwirtschaft häufig mit den Bedürfnissen von nichtmenschlichen Tieren gleichgesetzt werden - was problematisch ist, denn viele Landwirt:innen halten gar keine Tiere. Deshalb sollte der Begriff ‘Landwirtschaft‘ nur in Bezug auf landwirtschaftliche bzw. ackerbauliche Betriebe verwendet werden – und nicht in Bezug auf wirtschaftlich be-/genutzte Tiere. Denn zumeist werden jene Tiere in Betrieben gehalten, bei denen überhaupt kein Land bewirtschaftet wird. Der Anbau von Pflanzen ist nicht mit der Mast, Haltung und Tötung von wirtschaftlich be-/genutzten Tieren gleichzusetzen.

Alternative Begrifflichkeiten:
Tiernutzer:innen
Tier(nutzungs)wirtschaft
wirtschaftliche Tiernutzung zu Nahrungszwecken

(vgl. von Gall 2020:56-58)

 
 
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Auch der Begriff ‘Schlachttier’ ist höchst problematisch, da sich dieser nur auf den menschlichen (wirtschaftlichen) Nutzen und die Nutzbarmachung des nichtmenschlichen Tieres bezieht. Indem sprachlich das Bild eines nur zum Zweck der Schlachtung existierenden Lebewesens konstruiert wird, werden tierliche Individuen abgewertet, um die Tötung dieser Lebewesen zu legitimieren und die emotionale Distanz zu den jenen Individuen aufrechtzuerhalten. (vgl. Mahlke 2013:40)

Alternative Begrifflichkeit:
wirtschaftlich be-/genutztes Tier

(vgl. Kurth 2016:181)

 
 

Nichtmenschliche Tiere als Masse zu porträtieren macht diese gesichtslos und spricht ihnen den Wert ihres individuellen Lebens ab. Dazu ist der Begriff ‘Massentierhaltung’ nicht legal definiert. Die “Verordnung zum Schutz gegen die Gefährdung durch Viehseuchen bei der Haltung von Schweinebeständen” aus dem Jahr 1975, welche unter dem Kurztitel “Massentierhaltungsverordnung – Schweine'“ bekannt war, wird als Ursprung des Begriffs ‘Massentierhaltung’ vermutet. Damit ginge der Begriff auf die Debatte im Zusammenhang zwischen Zoonosen und industrieller Schweinehaltung zurück.

Alternative Begrifflichkeit:
Tier(nutzungs)industrie

(vgl. Wissenschaftliche Dienste 2020:7)

 
 
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Auch anhand der Etymologie von Begrifflichkeiten wie ‘Vieh’ lässt sich die Ambivalenz zwischen wirtschaftlich be-/genutzten Tieren und der finanziellen Werteorientierung des Menschen herstellen:
pecunia (lat.) = Vermögen, Geld
pecus (lat.) = Vieh
stock (engl.) = Kapital, Vermögen, Viehbestand

(vgl. Nieradzik 2016:122)

 
 
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Mittels Formulierungen wie ‘Produktion’ von Milch oder ‘Produktion’ von Ferkeln werden wirtschaftlich be-/genutzte Tiere durch Sprache zu einem Produkt bzw. einer Ware gemacht. Die Schöpfung und Kontrolle des Lebens eines nichtmenschlichen Tieres als ‘Produktion von Fleisch’, ‘Milchproduktion’ oder ‘Ferkelproduktion’ zu bezeichnen, führt dazu, dass jene Tiere als gefühllose Objekte porträtiert und wahrgenommen werden.

Alternative Begrifflichkeiten: Tötung/Züchtung/Nutzung von nichtmenschlichen Tieren
Entnahme von Eiern
Wegnahme der Milch

(vgl. von Gall 2020:83)

 
 

Auch die Bezeichnung ‘Schlachtreife’ ist stark euphemistisch geprägt, denn mit der ‘Schlachtreife’ eines nichtmenschlichen Tieres ist im eigentlichen Sinne der wirtschaftlich rentabelste Tötungszeitpunkt jenes Tieres gemeint. Diese euphemistische Bezeichnung verschleiert die Realität der Tiernutzungsindustrie – denn wirtschaftlich be-/genutzte Tiere werden gewaltsam und allein zum Genuss des Menschen getötet.

Alternative Begrifflichkeit:
wirtschaftlich rentabler Tötungszeitpunkt

(vgl. von Gall 2020:85)

 
 
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Mit der Formulierung ‘Veredelung’ soll die Haltung und (Be-)Nutzung von wirtschaftlich be-/genutzten Tieren beschönigt werden. Doch “selbst wenn man die ‘Veredelung’ rein wirtschaftliche betrachtet und die Ethik ausblendet, muss aus volkswirtschaftlicher Sicht auf die katastrophalen Folgen des global wachsenden Konsums von tierbasierten Produkten hingewiesen werden. Insofern ist die Rede von ‘Veredelung’ in jedem Fall eine ökonomische Realitätsverleugnung.” (von Gall 2020:88)

Alternative Begrifflichkeiten:
Tier(be)nutzung
Schweinehaltung

 
 
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Auch mit der beschönigenden Bezeichnung ‘Verlust’ oder ‘Ausfälle’ soll verheimlicht werden, dass Jungtiere frühzeitig sterben – daher muss unbedingt eine neue Begriffsdefinition für sterbende Tiere gefunden und etabliert werden.

Alternative Begrifflichkeiten:
Frühzeitiger Tod von Ferkeln, Kälbern etc.

(vgl. von Gall 2020:76)

 
 

Anhand der Bezeichnung ‘Lebendmasse’ wird die sprachliche Abwertung von einzelnen Tierindividuen deutlich. Die individuellen nichtmenschlichen Tieren werden dabei zu einer passiven Masse – also zu einem beliebigen Objekt unter vielen, die “verarbeitet” (= ausgebeutet und getötet), vermarktet und anschließend verkauft werden.

Alternative Begrifflichkeiten:
Gewicht der transportierten Tiere
Gewicht der für die Schlachtung bestimmten Tiere

(vgl. von Gall 2020:90)

 
 

Nichtmenschliche Tiere werden oftmals in umweltpolitischen Diskursen als ‘menschliche Ressourcen‘ geframed und mit Pflanzen und Rohstoffen verglichen. Diese Formulierung reduziert nichtmenschliche Lebewesen auf ihren ökonomischen Nutzen während ihr individueller Wert negiert wird. “Dabei wird der ethische Unterschied zwischen der Nutzung von Pflanzen und Tieren verkannt. Im Gegensatz zu Pflanzen verfügen Tiere über eine eigene, bewusste Sicht auf die Welt” (von Gall 2020:88). Solange besonders wirtschaftlich be-/genutzte Tiere weiterhin als ‘Ressourcen’ geframed werden, wird das normalisierte Bild jener Tiere als Maschinen oder Automaten nicht verschwinden.

(vgl. von Gall 2020:91)

 
 
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Der Begriff 'Tierwohl' wird seitens der Tier- und Agrarindustrie und der Politik als Marketinginstrument benutzt, um das Leben von wirtschaftlich be-/genutzten Tieren in genau so ein positives Bild zu rücken: Denn mit dem Begriff Tierwohl konnotiert man automatisch das Wohlbefinden von nichtmenschlichen Tieren. Betrachtet man jedoch die genaue Definition von Tierwohl wird deutlich, dass eher das Gegenteil der Fall ist: "Erstens meint ‘Tierwohl‘ bzw. animal welfare entgegen der spontanen sprachlichen Assoziation eben nicht einen positiven Zustand oder das gute Leben, sondern kann einen „guten“ oder „schlechten“ Zustand beschreiben" (von Gall 2020:42). Der Begriff Tierwohl wird also äußerst manipulativ eingesetzt, da in Wahrheit Tierwohl in den meisten Fällen nur geringfügig weniger Tierleid bedeutet.

Alternative Begrifflichkeiten:
Weniger Leid anstelle von ‚mehr Tierwohl‘
Tierliche Interessen
Befinden

(vgl. von Gall 2020:40 f.)

 
 
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Mit der Beschreibung einer Tötung als ‘ordnungsgemäß’ wird der Eindruck vermittelt, diese würde frei von Leid stattfinden können. Die Bezeichnung der Tötung als ‘human’ ist noch problematischer, weil sie diese in dem als positiv aufgefassten ‘humanen’ Bereich ansiedelt.

Alternative Begrifflichkeiten:
Leidmindernde Maßnahmen bei der Tötung
Weniger qualvolle Schlachtung

(vgl. von Gall 2020:37 ff.)

 
 
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‘Artgerecht’ und ‘tiergerecht’ sind beschönigende Begriffe, die suggerieren, sie wären auf Grundlage ethischer und naturwissenschaftlich fundierter Rahmenbedingungen entstanden. Es herrscht jedoch eine große Unklarheit in der Bevölkerung, wie die biologischen Voraussetzungen und ethischen Werte einer ‘artgerechten’ Haltung definiert sind. Indem viele Menschen ‘artgerecht’ als naturwissenschaftlich definierten Begriff einordnen, wird die Grundlage für die Legitimierung der Ausbeutung und Benutzung von nichtmenschlichen Tieren erst ermöglicht.

Der problematische Begriff ‘Tierwohl’ wird übrigens häufig als Synonym für ‘artgerecht’ und ‘tiergerecht’ verwendet.

(vgl. von Gall 2020:23-24)

Alternative Begrifflichkeit:
tiersensibel

 


QUELLEN UND LITERATUR zUM NACHLESEN

Hagendorff, Thilo: Was sich am Fleisch entscheidet. Über die politische Bedeutung von Tieren. Marburg: 2021.
Kompatscher-Gufler, Gabriela/Schachinger, Karin/Spannring, Reingard: Human-Animal-Studies: Eine Einführung für Studierende und Lehrende. Stuttgart: 2017.
Kurth, Markus: “Ausbruch aus dem Schlachthof." In: Wirth et al. (Hrsg.): Das Handeln der Tiere. Tierliche Agency im Fok.us der Human-Animal Studies. Bielefeld: 2016, S. 179-202.
Mahlke, Sandra: Distanzierender Sprachgebrauch in Bezug auf Tiere. Eine kritische Diskursanalyse im Hinblick auf Anthropozentrismus und Speziesismus. Masterarbeit. 2013.
Mütherich, Birgit: "Soziologische Aspekte des Speziesismus.” In: Ach, Johann S./Stephany, Martina (Hrsg.): Die Frage nach dem Tier. Interdisziplinäre Perspektiven auf das Mensch-Tier-Verhältnis. Berlin 2009, S.75-93.
Nieradzik, Lukasz: "Geschichte der Nutztiere." In: Borgards, Roland (Hrsg.): Tiere: Kulturwissenschaftliches Handbuch. Stuttgart: 2016, S. 121-129.
Von Gall, Philipp: Tiere nutzen. Ein kritisches Wörterbuch. Animals' Angels e.V (Hrsg.). Frankfurt: 2020.

Wissenschaftliche Dienste. Deutscher Bundestag (Hrsg.): Zoonosen in der Tierhaltung.  Berlin: 2020. Verfügbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/709482/19485c96e154b0413bab0b7b5ff7ad3a/WD-5-070-20-pdf-data.pdf, Zugriff am 01.09.2021.