Wie Sprache und mediALE BILDER unsere sicht auf nichtmenschliche tiere verzerren
Die Normalisierungs-, Rationalisierungs-, und Distanzierungsstrategien der Ideologisierung, Verdinglichung, Entindividualisierung, Instrumentalisierung, Abwertung und Beschönigung von nichtmenschlichen Lebewesen wirken dabei nicht nur auf sprachlicher Ebene, sondern auch indem den Konsument:innen die Sichtbarkeit der Praktiken der agrarindustriellen Tiernutzungsfabriken und Tierversuchslaboren entzogen wird (vgl. Hagendorff 2021:215). Dies zeigt sich auch in der räumlichen und sozialen Abschottung dieser Fabriken und den damit in Verbindung stehenden Menschen. Diese Umstände und Praktiken sind mittlerweile ein zur Normalität gewordener Ausnahmezustand (ebd. 90). Deshalb liegt es an uns allen solche Problematiken und Mechanismen zu dekonstruieren und für Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit in Medien, Alltag und Öffentlichkeit zu sorgen. Dabei können diverse Herangehensweisen unterschiedlicher Fachrichtungen helfen.
Die kulturwissenschaftlich-semiotische Herangehensweise dieses Projekts möchte mit interdisziplinären methodischen Zugängen abbilden, wie Intransparenz und Verschleierungstaktiken im Kontext der Tiernutzungsindustrie wirken. Dazu werden die theoretischen Ansätze der kritischen Diskursanalyse, Framing und visuellen Semiotik angewandt. Eine ausführliche Darstellung der methodischen Zugänge ist hier zu finden.
HINWEIS:
sprachliche und konzeptuelle Unterscheidung ‘tier’-mensch
In die begriffliche Gegenüberstellung 'Tier'-Mensch ist im westlich-neuzeitlichen Sprachgebrauch die Konstruktion des nichtmenschlichen Tieres als etwas anderes, untergeordnetes und zu beherrschendes eingeschrieben. Dieser, in der postkolonialen Theorie als „Othering“ bezeichnete, Prozess umfasst das Aufwerten des Eigenen und das Abwerten des als Anders Konstruierten.
Dabei werden Eigenschaften, die als negativ empfunden werden, aus dem Eigenen ausgeschlossen. In der ideengeschichtlichen Tradition von Aristoteles, Thomas von Aquin, Rene Descartes oder Immanuel Kant stehend, betrifft das Qualitäten, die scheinbar der Vernunft gegenüberstehen. Diese wurden historisch auf nicht-europäische Menschen, Frauen und Tiere projiziert.
Bei der Redewendung „Du isst wie ein Schwein“ wird bereits deutlich, dass der Bezug auf eine tierliche Verhaltensart, als deutlich abwertend verstanden wird. Dabei ist von nur graduellen Unterschieden in den kognitiven und körperlichen Fähigkeiten tierlicher und menschlicher Lebewesen auszugehen und viel menschenähnliches im nichtmenschlichen Tier, sowie tierähnliches im Menschen zu finden (vgl. Hagendorff:131 f.).
Um darauf aufmerksam zu machen, dass die Grenze zwischen den Lebewesen nicht so eindeutig ist, wie lange postuliert und die Abgrenzung problematische Denk- und Verhaltensschemata begünstigt, werden im Rahmen dieses Projektes die Bezeichnungen nichtmenschliches Tier/Lebewesen/Individuum bzw. wirtschaftlich be-/genutztes Tier verwendet.
Der Referenzrahmen, dessen sich auch bei dieser Ausdrucksform bedient wird, bleibt jedoch anthropozentrisch. Ein weiterer Vorschlag zur Bezeichnung nichtmenschlicher Tiere ist 'anymal' – 'any animal who does not happen to be the same species that I am' (vgl. Kemmerer zitiert nach Sezgin 2021:14). Die Rechtwissenschaftlerin Maneesha Decka schlägt mit Blick auf den „grundlegend anthropozentrisch kontaminierten“ (Rechts-)begriff der 'Person' den Begriff 'Beingness' – Wesenheit für menschliche und tierliche Subjekte vor (vgl. Maneesha Decka zitiert nach Sezgin 2021:14).
Der Entwicklung neuer Sprachfindungen sehen wir weiterhin gespannt entgegen!
Wissenschaftlich belegt ist, dass nichtmenschliche Tiere:
“Komplexe Kognitionen haben, denken, ein Bewusstsein haben, willentlich handeln, in Abhängigkeit von ihrer Umwelt flexibel und adaptiv auf Situationen reagieren können, Werkzeuge herstellen und verwenden, ein räumliches Gedächtnis haben, Symbole verstehen, Gefühle kommunizieren können, fähig sind zu generalisieren, zählen können, abstrakte Kategorien verstehen, miteinander kooperieren, lügen, täuschen, Sinn für Humor haben, kulturelle Praktiken pflegen, sich an weit zurückliegende Ereignisse erinnern können, moralischen Regeln folgen, einen Sinn für Gerechtigkeit haben, altruistisch agieren, Mitgefühl haben, Stolz zeigen, Verhalten anderer imitieren können, sprechen und sogar fremde Sprachen lernen können, komplexe Aufgaben lösen können, Heilpflanzen kennen, für die Zukunft planen können, ihre Umwelt verändern und vieles mehr.” - Thilo Hagendorff 2021:125
LITERATUR UND QUELLEN ZUM NACHLESEN
Bürgerliches Gesetzbuch: (BGB) §90a Tiere. In: Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz. Verfügbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__90a.html, Zugriff am 20.08.2021.
Ebert, Helmut/Münch, Edith: Sprache als Instrument der Change- und Innovationskommunikation. Bonn: 2018.
Hagendorff, Thilo: Was sich am Fleisch entscheidet. Über die politische Bedeutung von Tieren. Marburg: 2021.
Joy, Melanie: Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen. Karnismus - eine Einführung. 4. Aufl. 2014.
Kompatscher-Gufler, Gabriela/Schachinger, Karin/Spannring, Reingard: Human-Animal-Studies: Eine Einführung für Studierende und Lehrende. Stuttgart: 2017.
Messaris, Paul/Abraham, Linus: "The Role of Images in Framing News Stories." In: Reese, Stephen D./Gandy, Oscar R. Jr./Grant, August E. (Hrsg.): Framing Public Life. Perspectives on Media and Our Understanding of the Social World. Mahwah, N.J: 2003.
Sezgin, Hilal: "Das Tier und wir." In: Publik Forum 14/2021. S. 14.